"Tatsachen-Stil" beim Formulieren von Schriftsätzen für's Gericht

In diesem Thread bemerkt @LanMarc77 die Eigenheit von Behörden oder allgemein von Juristen, in Gerichtsschriftsätzen stets die eigene Meinung als Tatsache hinzustellen:

Das ist mir auch schon aufgefallen. Warum machen die das? Ich habe den Verdacht, dass es dann einfacher für den Richter ist, den Text ins Urteil zu kopieren, und man die Bequemlichkeit des Richters gerne für sich nutzen möchte.
Ich habe aber schon mehrmals erlebt, dass Leute bei Erhalt solcher Stellungnahmen von Behörden in einem Gerichtsstreit geglaubt haben, das wäre jetzt schon entschieden, weil es ja so von der Behörde formuliert ist.

Edit: Habe jetzt den richtigen Beitrag aus der anderen Diskussion zitiert.

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So ganz ist mir nicht klar, was das mit meinem Feedback in dem verlinkten Post zu tun hat. :wink:
Edit: Ah es ist wohl der Beitrag darunter von @LanMarc77 gemeint.

Aber eine interessante Frage, in jedem Fall!
Insbesondere auch: Wenn man selbst einen Widerspruch formuliert, sollte man dann lieber die eigene Interpretation vorsichtig darstellen:

Meiner Meinung nach muss X Y sein, da …

Vlt. um bei Gericht dann den/die “unwissende/n Bürger/in” darzustehen… oder eben doch einfach:

X Y muss sein, da…

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Trivia: Die in diesem Thread angesprochene Technik heißt übrigens “Urteilsstil” und ist neben dem “Gutachtenstil” eine der beiden in der deutschen Rechtswissenschaft verwendeten Möglichkeiten zur Gliederung juristischer Analysen/Argumentationen.

Während der Gutachtenstil eher bei wissenschaftlichen Arbeiten verbreitet ist, verwendet man – soweit ich weiß – in der Praxis häufiger den Urteilsstil. Dieser hat natürlich den Vorteil, selbstbewusster und damit überzeugender zu sein.

Wenn man das anwenden möchte, um ganz “professionell” zu erscheinen, ist der Ablauf immer so:

  1. Wirkung (z.B. “Die zulässige Klage ist begründet.”)
  2. Obersatz (z.B. “Es besteht nämlich ein Anspruch nach dem IFG (I.) und dieser ist auch nicht ausgeschlossen (II.)” – hier erst sinnvoll strukturieren, später an der Norm abarbeiten)
  3. Subsumtion (Begründung, wieso der Obersatz hier gilt, bzw. nicht gilt; das nach allen Teilen, evtl. wieder den Ablauf verwenden)

Mehr Informationen dazu: Der Urteilsstil im Referendariat - Jura Individuell

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Danke @h.thielemann dass wir einen Thread dafür haben.
@luap42 Ah da gibt es auch in der Rechtsausbildung sogar Begriffe.

Also dass es da auch um die, nun ja wie sage ich das jetzt, ja eigene Darstellung der Stärke und Überzeugung geht kann ich mir gut vorstellen. In meinem bisher einzigen Verfahren vor Gericht, war ich etwas überrascht über das Auftreten des gegnerischen Anwalts. Also großes schauspielerisches Talent.

Soweit ich die beiden Begriffe verstanden habe, denke ich aber, dass ich mit meiner Formulierung nochmal was anderes meine. Beide Stile scheinen mir mit Tatsachenbehauptungen aufzutreten. Wenn mir auch der Gutachenstil weniger finale Behauptungen zu enthalten scheint. Hauptunterschied scheint mir aber der strukturelle Aufbau. Ich habe das so als Top-Down vs. Bottom-Up verstanden. So zu solchen Tatsachenbehauptung sage ich immer “Gottesbehauptungen”. Also etwas, dass bereits so formuliert ist, dass klar wird, dass es da ja keine andere Möglichkeit geben kann und nur diese eine Behauptung “wahr” ist. “Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.”
Es scheint aber üblich zu sein. Hier fände ich tatsächlich mal spannend zu untersuchen, ob ein Stil, der der Form nach eher aussagt, dass es sich um die persönliche (und nicht um eine absolute) Rechtsauffassung handelt mehr oder weniger erfolgreich vor Gericht bzw. im Verfahren ist. Bei einer Behörde kann ich mir gut vorstellen, dass diese in dem Sinne erfolgreich ist, dass einige es dann bei einer als absolut dargestellten Behauptung nicht auf eine gerichtliche Prüfung ankommen lassen wollen. Und ich bin sicher ein Gericht kennt ja diese üblichen Formulierungen und geht irgendwie damit um. Dann wäre wieder spannend, wie eine Klageschrift und der Kläger gesehen wird, wenn der gerade nicht so agiert, sondern, ich nenne das mal eher defensiv auftritt. Besonders wenn er gegen eine absolut formulierende Behörde klagt. Kann es da nicht sogar strategisch von Vorteil sein, wenn man als vielleicht auch durch die andere Formulierung unwissender und schutzbedürftiger Bürger dasteht?

@kartie
Ich halte (Rechts)Auffassung und (Rechts)Meinung für synonyme Begriffe. Zumindest der Duden, scheint mir da zuzustimmen. Aber es sind “nur” Wörter und ich weiß, dass deren Interpretation gerade auch abhängig von Herkunft, Dialekt und sozialen Gruppierungen unterschiedlich sein kann. In dem Sinne ist auch der Duden nur der Versuch, der Sprachentwicklung hinterherzuhinken.
LG

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Im Alltagsgebrauch sicherlich, von daher verständlich. Aber bei Gericht ist das doch anders. Es gibt Gesetze und Rechtsprechungen, auf die man sich beruft, also Rechtsauffassungen. Man legt diese Gesetze nicht aus, sondern man wendet sie an. Die Auslegung von Gesetzen geschieht durch Rechtsprechung, in der Regel durch die höchsten Bundesgerichte oder den EuGH.
Hat man eine Meinung zu einem Gesetz oder einer Rechtsprechung, z.B. dass es ein schlechtes Gesetz ist quasi, dann sollte man sich mit dieser Meinung an den Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht wenden.
Aus meinen Erfahrungen kann ich sagen, dass man sich jedenfalls keinen Gefallen tut, wenn man vor Gericht Meinungen vertritt.

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Ich stimme dir zwar zu, dass man sich mit einem selbst-überzeugten Auftreten in einigen Fällen helfen kann (wobei, wenn die eigene Auffassung vom Gericht für falsch erachtet wird, das natürlich auch schaden kann). Der Rest deiner Aussage ist aber leider nicht ganz richtig:

  1. Die Rechtsanwendung besteht aus zwei Schritten. Erstens der Auslegung, d.h. den Regelungsgehalt der Gesetze zu bestimmen. Zweitens der Subsumtion, d.h. die Prüfung, ob die vorliegende Lage unter den (eben ausgelegten) Tatbestand der Norm fällt. Auslegung ist daher eine Teilaufgabe bei der Rechtsanwendung.

  2. Die Auslegung von Gesetzen ist auch nicht nur irgendwelchen “Obersten Gerichten” (auf welcher Ebene auch immer) vorbehalten. Im Gegensatz muss jedes Gericht eine eigene Auslegung vornehmen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Einl III, Rn. 46f). Eine Bindungswirkung entsprechend dem case law im angloamerikanischen Rechtssystem gibt es nicht. Dies wäre auch wegen Verstoßes gegen die Gesetzesbindung des Richters (Art. 97 GG) nicht zulässig.

  3. Diese “Freiheit” kann in einigen Fällen eingeschränkt sein, z.B. wenn ein höheres Gericht das Urteil aufhebt und das Verfahren an das niedere Gericht zurückverweist; dann ist dieses im Umfang der Aufhebung an die Rechtsauffassung des höheren Gerichts gebunden. Außerdem gibt es im Bereich des EU-Rechts die Ausnahme, dass die letztinstanzlichen Gerichte dem EuGH unter bestimmten Umständen entscheidungserhebliche Fragen vorlegen müssen. Aber auch dies gilt in sehr vielen Fällen nicht, nämlich dann, wenn die Frage durch den EuGH bereits geklärt ist (acte éclairé) oder über die Auslegung keine vernünftigen Zweifel bestehen (acte clair).

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Ich spiele hier mal Mod und möchte mal nochmal auf das Threadthema hinweisen. So interessant die Ausführungen zu Gesetzesinterpretationen und wer/wie/was das jetzt machen soll/darf/muss, auch sein mögen, so weit sind sie doch vom eigentlichen Thema entfernt, in dem es in diesem Thread eigentlich ging, nämlich um Formulierstile für Widersprüche, Klagen usw.

Ansonsten sicher gerne in einem extra Thread weiter diskutieren, wenn ihr das wollt, aber da würde ich einen Mod bitten, den Thread dann doch bitte aufzuteilen.

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Genau das ist der Grund, warum Schriftsätze so formuliert werden. Man kann auch jede andere Formulierung nutzen (hat also nicht nur die Wahl zwischen Urteils- und Gutachtenstil); das hat keine Auswirkung auf die Entscheidung des Gerichts.

Ah ja so meinte ich das eigentlich auch nicht. Auch ich meine Gesetze anzuwenden. Allerdings war der Kern der Frage nicht, ob ich das Gesetz gut oder schlecht verfasst finde, sondern wie ich meine Auffassung/Meinung (hier für mich synonym) in dessen Anwendung darstelle. Also hier eben in einer den Zweifel nicht zulassenden Art wie “Das ist eben so” oder als explizite Darstellung, es handelt sich um meine Art der Anwendung dieses Gesetzes.

Vlt. ist der Begriff Gesetzes(Interpretation) hier passender. :wink:
Du willst ja nicht „von außen“ eine Meinung zu einem Gesetz sagen oder es ablehnen, sondern „innerhalb” des Gesetzes eben dieses auslegen.

In jedem Fall ist glaube ich kalr, was gemeint ist. :slightly_smiling_face:

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Ja, ich verwende auch gern “meiner Lesart nach”