Heute war kein guter Tag für die Informationsfreiheit in Thüringen.
Im ultimativen FDS-Transparenzranking liegt Thüringen zwar in der besseren Hälfte der Länder, aber der Richter Lenhart wollte Thüringens Transparenzgesetz nicht zugunsten der Informationsfreiheit einsetzen. Ich hatte auch Transparenzanfragen an das Weimarer Verwaltungsgericht gestellt und diese wurden ebenfalls von Herrn Lenhart beantwortet, aber er besteht stets auf dem Postweg. Ich habe ihm erklärt, dass das bedeutet, dass ich seine Briefe erst wieder digitalisieren und durch die Texterkennung schicken muss und habe ihn daher gebeten, seine Antworten wenigstens vorab per E-Mail zu übersenden. Darauf hat er sich nicht eingelassen. Er ist auch einer, der es nicht schafft, E-Mails mit dem “Antwort an”-Knopf zu beantworten, was darin mündet, dass seine Antworten gerne mal in der falschen FragDenStaat-Anfrage auflaufen und er sich dann wundert, wenn bei meiner Antwort sein Geschäftszeichen nicht mehr stimmt, obwohl ich ihm das Problem zuvor erläutert habe. Von daher wusste ich schon in etwa, wie der Richter so drauf ist, auf den ich heute getroffen bin.
Also was hat der Richter heute erzählt? Weil die Ärztekammer meinen mailographischen Widerspruch gegenüber dem Gericht beanstandet hatte, hat der Richter erst ausführlich über das Wesen des Verwaltungsvorgangs und seinen Formvorschriften sinniert und dass das alles schriftlich und mit Identifizierbarkeit der Beteiligten erfolgen müsse. Also die ganze Art, wie FragDenStaat die Kommunikation um E-Mail herum aufbaut, wäre nach seinen Ausführungen gänzlich unzulässig. Er hat dann aber gemeint, dass die ganze E-Mailerei aber doch dadurch geheilt worden sei, dass beide Seiten mitgemacht haben, und ich zum Schluss schriftlich geklagt habe.
Sodann hat der Richter klargestellt, dass die von mir angefragten Informationen amtliche Informationen im Sinne des Transparenzgesetzes seien. Die Ärztekammer meinte ja, dass höchstens um diejenigen Vortragsfolien, die im Vortrag tatsächlich gezeigt wurden, gestritten werden könne. Der Richter legte aber dar, dass der Anfragesteller den Umfang der angefragten Informationen bestimme und da ich eben alle Vortragsunterlagen angefragt habe, es auch um alle Folien gehe und diese auch alle als amtliche Information anzusehen seien. Da ist er mit mir einer Meinung.
Aber dann ging es um die Ausschlussgründe. Wir waren uns einig, dass die Gründe aus §12 “Schutz öffentlicher Belange” nicht einschlägig sind.
Dann ging es um §13 “Schutz privater Interessen” (personenbezogene Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse). Da wunderte sich der Richter, warum ich nicht auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse abgestellt hätte, weil die doch schlechter geschützt seien als urheberrechtlich geschützte Werke. Da müsse ich laut §13(5) nur ein berechtigtes Interesse nachweisen. Ich habe gesagt, dass ich die Vorträge nicht als Geheimnisse ansehe, weil die Vorträge ja vor Publikum gehalten wurden und die Zuhörer keine Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben haben (ich hoffe, ich bringe die Ärztekammer nicht auf dumme Gedanken). Da meinten Ärztekammer und Richter jedoch, dass der Teilnehmerkreis ja klein und von der Ärztekammer ausgesucht gewesen sei. Ich wendete weiter ein, dass sich die Ablehnung meines Auskunftsantrages im August 2020 auf überhaupt keine Ausschlussparagraphen des Transparenzgesetzes stützte, weswegen ich dort nicht weiter argumentiert habe.
Nun aber wechselte der Richter zum Urheberrecht. Er schloss sich der Auffassung der Ärztekammer an, dass der Vortragende als privater Sachverständiger vorgetragen hat, obwohl er im Programm und auf seinen Titelfolien als Gesundheitsamtsmitarbeiter bezeichnet wird. Die Ärztekammer streitet ab, dass das Gesundheitsamt Erfurt Nutzungsrechte an den Folien haben könnte, denn dass das Gesundheitsamt nach Ausscheiden des Vortragenden als Mitarbeiter über die Folien nicht mehr verfügt, zeige doch deutlich, dass die Folien nicht für das Gesundheitsamt erstellt worden seien. Das sehe ich anders. Die vom Mitarbeiter erstellten Materialien sind anfragbare amtliche Informationen, solange der Mitarbeiter im Amt arbeitet. Geht der Mitarbeiter und nimmt die Informationen mit, liegen sie zwar nicht mehr im Amt vor, aber das Land Thüringen verfügt immer noch über die Nutzungsrechte, nur dass die Informationen jetzt eben bei einer anderen Stelle des Landes Thüringen liegen.
Es kam auch heraus, dass die Landesärztekammer dem Vortragenden ein Honorar bezahlt hat. Ich meine, dass dadurch die Vorträge als Auftragsarbeit für die Ärztekammer angesehen werden können, und die Ärztekammer dadurch Nutzungsrechte an den Folien erworben hat. Die Ärztekammer sieht es aber mit Zustimmung des Richters so, dass der Vortragende lediglich die Rechte zum Verteilen an die Teilnehmer eingeräumt hat, und weitere Nutzungsrechte dadurch nicht übertragen wurden. Ich habe entgegnet, dass wenn man für einen öffentlichen Auftraggeber in Thüringen arbeitet, immer auch im Hinterkopf haben muss, dass der öffentliche Auftraggeber Transparenzpflichten hat.
Ich habe auf das Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 25.06.2015, Az.: BVerwG 7 C 1.14, wissenschaftlicher Dienst des Bundestages und seine UFO- und Guttenberg-Gutachten) verwiesen. Der Richter meinte, das könne man nicht vergleichen, weil die Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes für die Öffentlichkeit geschrieben würden. Na hallelujah! Ich habe entgegnet, dass diese Gutachten eben erst durch das Bundesverwaltungsgericht öffentlich geworden sind. Vorher wurden die Gutachten nur für die beauftragenden Parlamentarier geschrieben. Ich habe auf das Urteil zur Privatisierung der JVA Burg verwiesen. Dort ging es ja auch um ein privat erstelltes aber öffentlich beauftragtes Gutachten. Der Richter und die Ärztekammer meinen aber, dass der Vortragende in unserem Falle die Möglichkeit behalten wolle, seinen Vortrag immer wieder gegen Honorar halten zu können und dass diese Möglichkeit praktisch entfiele, wenn jederman Zugang zu seinen Folien hätte. Ich hatte dem bereits in meinen Schriftsätzen widersprochen, weil der Vortrag eben gerade nicht nur aus den Folien, sondern aus der Auswahl der Folien, dem gesprochenen Wort und der Interaktion zwischen Redner und Publikum besteht. Außerdem, wie gesagt, der Vortragende muss ein Geschäftsmodell wählen, welches sich mit dem Thüringer Transparenzgesetz verträgt, nicht umgekehrt.
Die Richter fing dann an, von seinen eigenen Erfahrungen zu berichten, und dass er auch Vorträge hielte und dass diese Vorträge doch auch nicht automatisch dem Auskunftsanspruch nach ThürTG unterfielen. Ja, warum eigentlich nicht? Klingt für mich auch nach Befangenheit, wenn er den Auskunftsanspruch gegen die Ärztekammer verneint, damit auch seine Vorträge nicht in die Schusslinie geraten.
Ich habe angeboten, lediglich Einsicht in die Folien zu nehmen, weil damit gar kein Urheberrecht verletzt werden würde. Das haben Richter und Ärztekammer ebenfalls abgelehnt.
Ich lese ja das Transparenzgesetz inzwischen so, dass Urheberrechte gar kein Ausschlussgrund sind. Sie werden lediglich in §11(2) erwähnt, wo es um die Art des Zugangs geht. Der Richter meinte zwar, dass das Thema Urheberrechte in der Gesetzesbegründung (Drucksache 6/6684
Thüringer Landtag) umfangreich besprochen wird, und seine Interpretation irgendwie stütze. Und der Richter sieht es nun eben so, dass das Urheberrecht gar keinen eigenen Ausschlussparagraphen benötige, weil das Urheberrecht als Bundesrecht das Auskunftsrecht als Landesrecht bricht und das sei gerade der Unterschied zum IFG Bund, wo zwei Bundesgesetze (Urheberrecht und IFG) in Konkurrenz träten und es daher eine Klarstellung im IFG bedürfe. Ich kann das aus der Gesetzesbegründung des ThürTG nicht herauslesen.
Nun ist die Frage: Wie gehe ich damit um?
Eine Instanz weiter? Wäre für mich eine Geldfrage. Die nächste Instanz würde ich auch lieber mit Anwalt angehen.
Breche ich hier ab? Dann ist die Frage, ob die Folien doch bei der Ärztekammer gelöscht werden, weil sie nach Auskunft der Kammer ohnehin immer nach einem Jahr gelöscht werden. Ich könnte den Tipp des Richters aufgreifen und die Folien als Betriebsgeheimnisse anerkennen und das öffentliche Interesse an den Folien darlegen. Aber ob das Erfolg hat? Steht das Urheberrecht dann nicht immer noch nach Auffassung des Richters entgegen?
Ich könnte die Folien auch bei unserem Gesundheitsamt anfragen, denn die haben sie von der Ärztekammer in Erfurt bekommen. Da wäre die Konstellation noch kniffliger, weil dann schon drei bis vier Parteien beteiligt sind: Mein Gesundheitsamt, die Thüringer Ärztekammer, das Erfurter Gesundheitsamt und der Vortragende. Das wäre dann sachsen-anhaltinisches Informationszugangsrecht.
Ich habe auch weitere Anfragen an das Erfurter Gesundheitsamt und die Ärztekammer laufen. Diese wären geeignet, dass Auftragsverhältnis dieser Organisationen mit dem Vortragenden aufzuklären. Natürlich beeilen sich die Stellen mit den Antworten auf diese Fragen nicht, während bei meiner laufenden Klage ständig Fristen ablaufen. Ich habe die Anfragen in der mündlichen Verhandlung als Beweisanträge formuliert, die der Richter natürlich gleich als irrelevant abgelehnt hat.
Ich könnte auch Vorträge des Richters anfragen. Wenn ich dort klage, dann würde ich auch nicht beim Herrn Lenhart verhandeln. Das wäre doch mal was. 