Einleitung
Wie in https://forum.okfn.de/t/bundeskartellamt-faellt-bei-kartellverfahren-nicht-mehr-unter-das-ifg/ angekündigt, eröffne ich hier einen Thread, um den Themenkomplex [§ 1 III IFG bzw. Landesgesetzliche Äquivalente // Informationsfreiheits- / Transparenzgesetze vs. Spezialgesetze] gemeinsam zu erläutern. Den Anfang soll dieser Beitrag machen, den ich möglichst kurz zu halten versuche - was allerdings aufgrund der Komplexität und der vielen Implikationen nicht ganz leicht wird.
So ein “erläuternder” Ausgangsthread - aufbereitet und irgendwo didaktisch angelegt - scheint den Anspruch von Vollständigkeit und Korrektheit zu erheben. Natürlich ist das nie ganz richtig. Deshalb wie immer meine Bitte an die interessierten User: Stellt (kritische) Nachfragen, auch sehr gerne Verständnisfragen, ergänzt es gerne mit eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen!
Ich denke, das Thema § 1 III IFG & Co. bietet einen idealen Einstieg in das Verständnis komplexerer - auch regelungstechnischer - Zusammenhänge, die auch die Zielkonflikte illustrieren, die zwischen dem (unserem) Ziel von Transparenz und Informationsfreiheit auf der einen und gewohnheitsmäßig etablierten Regelungstechniken politischen und staatlichen Handelns auf der anderen Seite bestehen.
Problemstellung
Doch genug der Vorrede. Einstieg soll diesmal der Wortlaut des § 1 III IFG sein:
Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen gehen [mit Ausnahme des § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und des § 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch] vor.
[hat kaum Bedeutung und wird keine Rolle spielen im Folgenden], daher:
Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen gehen vor.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst eines: Das IFG - wie alle IFGe insgesamt - ist ein sehr allgemeines Gesetz mit einem enorm weitreichenden Regelungsbefehl:
Alle Behörden müssen alle (amtlichen) Informationen an jeden, der dies beantragt, herausgeben [außer, wenn… - lassen wir die Ausnahmen außen vor, sie spielen im Rahmen des § 1 III noch keine Rolle].
Die Ausnahmen werden auf dieser ersten Stufe - der “kollisionsrechtlichen” Stufe - nur - und erstmal nur möglicherweise - durch Spezialgesetze normiert.
Spezialgesetze können - soweit stellt § 1 III IFG klar - bestimmte Informationsteilmengen der Regelungsinstanz IFG ganz oder teilweise entziehen. Das IFG sagt sinngemäß:
“Dort, wo Du, Fachgesetz, es für sinnvoll hältst, sollst Du darüber entscheiden, ob ich, IFG, Anwendung finde. Dir bleibt es auch überlassen, die Teilmenge zu bestimmen, hinsichtlich derer ich noch Anwendung finde. Du kannst aber auch bestimmen, dass ich gar keine Anwendung finde.”
Das Problem wird sein: Die Fachgesetze - alle, die vor dem IFG, viele, die nach dem IFG erlassen wurden - bestimmen ihr Verhältnis zu § 1 III IFG nicht ausdrücklich. Sie sagen uns fast nie, ob sie sich insgesamt als die einzige Instanz verstehen wollen, die den Zugang zu Informationen in einem bestimmten Bereich (Kartellrecht, Krankenhausrecht etc.) regelt.
Nur selten heißt es, wie in § 3 III DSG NRW (danke, @fnord;)):
Behördliche Unterlagen über die technischen und organisatorischen Maßnahmen gemäß Artikel 32 der Verordnung (EU) 2016/679 unterliegen nicht dem allgemeinen Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen.
Hier ist die Sachlage klar: Eine bestimmte Teilmenge (Behördliche Unterlagen über technische und organisatorische Maßnahmen…) ist vom Informationszugang nach dem IFG NRW ausgenommen. Der DSG NRW - Gesetzgeber hätte (theoretisch) noch weiter gehen können - und das IFG hinsichtlich aller Informationen für unanwendbar erklären können.
Wir halten fest:
Die Probleme, die sich im Rahmen des § 1 III IFG ergeben, drehen sich also darum, dass viele Fachgesetze - bei den älteren verständlich - sich nicht zum IFG ins Verhältnis setzen. Nun fängt die Interpretation an: Der Fachgesetzgeber habe doch ganz klar den gesamten Bereich dem IFG entziehen wollen, sagen die einen - die, die Informationsfreiheit fürchten. Er nimmt gar nicht Stellung zum IFG, d. h. dieses muss und soll anwendbar bleiben, sagen die anderen.
Rechtsdogmatische Einordnung
Es heißt in der Literatur zu § 1 III IFG mitunter (so etwa bei Schoch), dieser habe (oft) nur klarstellenden Charakter; der Vorrang des Fachgesetzes ergebe sich schon aus den Grundsätzen lex posterior derogat legi priori (das spätere Gesetz tritt an die Stelle des früheren) sowie lex specialis derogat legi generali (Das Spezialgesetz verdrängt das allgemeine Gesetz) - also aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Dies mag dann zutreffen, wenn - wie im Fall des erwähnten § 3 III DSG NRW - der Regelungsgegenstand klar ist.
Anders ist es jedoch, wenn nicht klar ist, ob der Regelungsgegenstand identisch ist. Wichtig: Streng genommen hilft der Wortlaut des § 1 III hier nicht unbedingt weiter.
Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen gehen vor
Heißt dies etwa, dass - wo ein Fachgesetz nicht ausdrücklich sein Verhältnis zum IFG klärt - jedes Fachgesetz das IFG schon dann verdrängt, wenn es irgendwie einen Informationszugang regelt, egal ob im Verhältnis Staat-Bürger / Staat - Staat (etwa Behörde gegenüber Aufsichtsbehörde, siehe § 30 IV DSGVO, oder Partei gegenüber BTags-Verwaltung bzw. BTags-Präsident gegenüber BTag, siehe § 23 PartG)? Soll dies schon ausreichen?
Bevor wir uns der Antwort auf diese rhetorische Frage widmen, vergegenwärtigen wir uns zunächst nochmal den Regelungsgegenstand des Bundes-IFG:
Das IFG regelt den Informationszugang auf Antrag durch einen beliebigen Bürger an eine beliebige Behörde des Bundes
Blicken wir nun auf das aus dem Wortlaut von § 1 III IFG von Literatur und Rechtsprechung entwickelte zentrale Prüfungsschema:
Voraussetzungen für ein Verdrängen des IFG, wie sie von Literatur und Rechtsprechung angenommen werden
1. Regelungen über den Zugang zu amtlichen Informationen / identischer Regelungsgegenstand**
2. Das speziellere Gesetz muss sich als “abschließend” gg. dem IFG verstehen.
zunächst zu 1) - identischer Regelungsgegenstand
Das BVerwG fasst (BVerwG 10 C 16.19, Urteil vom 17. Juni 2020 | Bundesverwaltungsgericht - dort geht es um die §§ 23 ff. PartG) das so zusammen:
[…] ist hierfür maßgeblich, ob die anderweitige Regelung dem sachlichen Gegenstand nach Regelungen über den Zugang zu amtlichen Informationen trifft
Dass das BVerwG den rhetorischen Charakter der Frage nicht sieht und stattdessen die Frage mit “Ja” zu beantworten scheint, sieht man in der weiteren Folge:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt § 1 Abs. 3 IFG nicht zusätzlich voraus, dass die anderweitige Regelung dem Einzelnen einen individuellen, gerichtlich durchsetzbaren Informationszugangsanspruch verleiht…
Und weiter:
Damit würde dem Gesetzgeber verwehrt, es in einem bestimmten sachlichen Regelungsbereich bei objektiv-rechtlichen Informationspflichten zu belassen und deren Erfüllung auf andere Weise als durch Einräumung subjektiver Informationszugangsansprüche zu sichern.
…
[an anderer Stelle hat] das Bundesverwaltungsgericht bereits zum Ausdruck gebracht, dass bei der Anwendung des § 1 Abs. 3 IFG nicht grundsätzlich zwischen objektiv-rechtlichen Transparenzvorschriften und subjektiv-rechtlichen Informationszugangsansprüchen unterschieden werden muss
Was heißt all das nun? Im Ergebnis, dass das Bundesverwaltungsgericht es ausreichen lassen will, dass das andere Gesetz eben irgendwie den Informationszugang zu amtlichen Informationen regelt, egal also, wer Informationsverpflichteter ist und ob es sich um eine Veröffentlichungspflicht (pro-aktiv) oder eine Auskunftspflicht (auf Antrag) handelt.
Wo das BVerwG davon spricht, dass die §§ 23 ff. PartG einschlägige und im Ergebnis abschließende Regelungen über den “Informationszugang der Allgemeinheit” regeln, wohnt dem eine interessante Annahme zugrunde: Dass nämlich die Informationsverpflichtungen der Parteien in punkto Eigenfinanzierung dann dem Informationsrecht der Allgemeinheit genügen, wenn sich staatliche Organe wechselseitig unterrichten. Dieses Credo überrascht nicht ganz, handelt es sich doch um einen politisch hoch sensiblen Bereich - in dem es auch um Kernkompetenzen zentraler Organe der repräsentativen Demokratie geht.
Insofern ist das Urteil etwas mit Vorsicht zu genießen - man kann nur hoffen, dass es in anderen sachlichen Regelungsbereichen ein anderes Verständnis dessen geben wird, wie weit der Informationsanspruch der Allgemeinheit gehen soll - und dass insbesondere der Informationszugang auf Antrag, so wie vom IFG Bund 2005 eingeführt, natürlich auch einen Paradigmenwechsel eingeläutet haben sollte! Und zwar einen, der ganz im Sinne der lex posterior - Regel dem IFG auch den Vorrang gegenüber älteren Gesetzen mit irgendeiner Regelung zum Informationszugang einräumt.
Kurzum zu 1)
Würde man dieses Verständnis des BVerwG ausweiten, kämen wir zu dem Punkt, dass irgendeine Regelung von Informationsverpflichtungen im Verhältnis Staat-Staat stets kollisionsrechtlich das gesamte IFG verdrängen könnte.
zu 2)
Nun gibt es noch den Punkt 2) im Schema - das Erfordernis des abschließenden Charakters der Spezialregelung - aber ein solches zusätzliches Erfordernis erweist sich als zahnlos, wenn schon der “identische Regelungsgegenstand” so weit gefasst wird - denn dann würde man stets logisch konsequent annehmen, dass der Fachgesetzgeber durch - ich betone - irgendeine Regelung von Informationspflicht bzw. Informationszugang Letzteren habe abschließend regeln wollen - etwa im Sinne von: "Wer irgendwie irgendeinen Informationszugang geregelt hat - egal ob vor Inkrafttreten des IFG oder danach - der wird sicherlich gewollt haben, den Informationszugang (der Allgemeinheit) auszuschließen - jedenfalls den Zugang, den sich diese neugierigen Bürger über einen Antrag verschaffen will.
Richtiges Verständnis im Sinne der Informationsfreiheit (so auch BfDI)
Es sei gleich ein Beispiel angeführt, das das einzig richtige Verständnis von § 1 III IFG zeigen soll - entnommen (danke, @LanMarc77:)) dem 29. Tätigkeitsbericht des BfDI, Seite 84, 8.1.3… Dort ging es um Art. 30 IV DSGVO und das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten:
Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sowie gegebenenfalls der Vertreter des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters stellen der Aufsichtsbehörde das Verzeichnis auf Anfrage zur Verfügung.
Das BamF steht hier wohl auf dem Standpunkt, dass es - gemäß der oben beschriebenen Tendenz - hier ausreiche, dass eine Informationspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde normiert werde. Damit ist wohl in den Augen des BamF auch klar, dass das IFG deshalb nicht gelten soll (!). Dem tritt natürlich der BfDI entgegen:
…Während Art. 30 Abs. 4 DSGVO
somit die effektive Aufgabenwahrnehmung durch die
Aufsichtsbehörden sicherstellen will, gewährt § 1 Abs. 1
IFG einen Anspruch für Jedermann auf Informationszugang
zu amtlichen Dokumenten. Art. 30 Abs. 4 DSGVO
ist somit bereits mangels identischen Regelungsgehalts
nicht als eine das IFG verdrängende Spezialnorm i.S.d.
§ 1 Abs. 3 IFG zu sehen.
Es manifestiert sich im Credo des BamF - abgesehen von der Informationsunwilligkeit - auch der tiefer liegende Grund für diese: Der Glaube, dass innerstaatlich, also im Verhältnis von Behörden zu (hier: Aufsichts)behörden der staatliche Informationsauftrag der Allgemeinheit zu genüge erfüllt wird. Ganz so, als gäbe es ein IFG nicht.
PS:
Aufgrund der Länge dieses ersten Beitrags lasse ich es zunächst damit bewenden, würde aber noch ein paar Worte zum “abschließenden Charakter” (Prüfungsschema Punkt 2) ergänzen wollen und vor allem noch ein paar Beispiele von Fachgesetzen anführen wollen, die mir begegnet sind. Aber vielleicht ergibt sich die Gelegenheit dazu ja auch im Austausch mit anderen:)
Interessant wären auch Beispiele aus den Ländern, die mir bisher kaum begegnet sind.
PS 2: Edit 6.4. - Struktur und kleinere Ergänzungen.