BfDI beanstandet BMVI wegen Informationsverweigerung ohne rechtlichen Grund - Unterlagen Maut-Ausschuss

Hallo liebe Freunde der Informationsfreiheit,

vor ca. einem Jahr hatte ich beim BMVI beantragt einige, wenige - aber brisante - Mails zu erhalten. Genauer: Die Mails in denen geplant wurde, dass die Presseberichterstattung des SPIEGEL “torpediert” werden sollte.

Das Ganze mündete nun in der ersten Beanstandung durch den BfDI seit 2013.

Damit habe ich tatsächlich - trotz des offensichtlichen Rechtsbruch - nicht gerechnet.

Was war passiert?

Beantragt war:

  • den kompletten E-Mail-Verlauf zwischen dem Leiter für Strategisches Medienmanagement und Minister Scheuer in elektronischer Form, in dem die Rede davon ist, dass im Rahmen der Maut-Affäre der Plan ist “morgige Vorabmeldung zu torpedieren”
  • außerdem den E-Mail-Verlauf, der die Aufforderung des Ministers enthält “Wir müssen früher dran sein!!!”

Die Ablehnung folgte nach 3,5 Monaten und unzähligen Erinnerungen sowie einer Vermittlung beim BfDI wegen Fristüberschreitung.

Es wurden zwei Ablehnungsgründe aufgeführt: § 3 Nr. 1 g) IFG (angeblicher Schutz von U-Ausschüssen) und § 5 Abs. 2 IFG (Schutz der Daten von natürlichen Personen).

  • Einschub: § 5 Abs. 2 IFG
    Der Ablehnungsgrund wurde später auf meine Beschwerde fallen gelassen bzw. genauer: Er war angeblich nicht mehr relevant, weil der Grund des § 3 Nr. 1 g) greift.
    Jedoch gehe ich kurz darauf ein, weil die Begründung besonders pervers war. Das BMVI wollte nämlich laut Bescheid die personenbezogenen Daten des Redakteurs und der Zeitschrift (“SPIEGEL”) schützen. Der Hammer ist aber, dass man argumentierte, dass man so die Presse/Redaktion schützen wolle. (“Redaktionsgeheimnis, Presserecht”)
    Zur Erinnerung: In der angefragten Information geht es darum, die Presse zu behindern. Dazu kommt, dass nach § 5 IFG ohnehin zunächst der Redakteur hätte befragt werden müssen, ob sein Name nicht doch veröffentlich werden darf. Alternativ hätte man den auch schwärzen können. Die Zeitschrift selbst ist ohnehin keine natürliche Person, die durch § 5 geschützt wäre.

The Hill To Die On: § 3 Nr. 1 g) IFG

Bleibt also noch der andere Ausnahmetatbestand. Ein Untersuchungsausschuss sei angeblich durch § 3 Nr. 1 g) IFG geschützt.

Der Anspruch auf Informationszugang besteht nicht, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann auf die Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens, den Anspruch einer Person auf ein faires Verfahren oder die Durchführung strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher oder disziplinarischer Ermittlungen
- § 3 Nr. 1 g) IFG

Glücklicherweise wurde diese rechtliche Fragestellung (“Gilt § 3 Nr. 1 g) für U-Ausschüsse?”) über unglaubliche 8 Jahre lang durch alle Instanzen geboxt und auch beantwortet. Am Ende durch das Bundesverwaltungsgericht im letzten Jahr.

Der IFG-Zugang zu Unterlagen des NSU-U-Ausschuss war nicht durch § 3 Nr. 1 g) IFG gesperrt. So urteilten das Verwaltungsgericht, das OVG und das BVerwG in einer Reihe.

Das ist eigentlich eine außerordentlich gute Ausgangslage für IFG-Anfragen. Es kann eigentlich nicht besser sein.

Das ist dem BMVI aber scheißegal, wenn es darum geht Scheuer zu schützen.

Wie kann das sein?

Zunächst unterschlägt das BMVI im Bescheid die Information, dass es ein extrem einschlägiges Urteil gibt. Es wird sich im Grundsatz und bis zuletzt darauf berufen, dass ein U-Ausschuss so ähnlich zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist, dass der Ausnahmetatbestand gelten muss. Dass also der oben markierte dritte Fall des § 3 Nr. 1 g) IFG greifen soll.

Daraufhin stellte ich Beschwerde (Art. 17 GG) und verwies auf das Urteil des BVerwG, welches eindeutig ist.

Das BMVI antwortete:

Dem steht das o.g. Urteil des BVerwG nicht entgegen. Das Gericht stellt nur knapp fest, dass Untersuchungsausschüsse nicht der rechtsprechenden Gewalt zuzuordnen sind. Mit der Frage, ob Untersuchungsausschüsse der dritten Fallgruppe des § 3 Nummer 1 Buchstabe g) IFG unterfallen, hat sich das Bundesverwaltungsgericht schon deshalb nicht beschäftigt, da es hierauf in der Sache nicht ankam. Denn das zugrunde liegende Untersuchungsausschuss-Verfahren war bereits beendet. Es konnten insoweit keine nachteiligen Auswirkungen auf ein laufendes Untersuchungsausschuss-Verfahren mehr eintreten.

Das BMVI stellt darauf ab, dass das BVerwG sich nur darauf eingelassen hatte, dass U-Ausschüsse keine Gerichtsverfahren seien und das BVerwG nichts dazu sagte, ob U-Ausschüsse aber nicht aber doch “strafrechtliche Ermittlungsverfahren” im Sinne des IFGs sein könnten.

Das ist natürlich eine völlig verdrehte Rechtstheorie, die dem Urteil und dem Kontext nicht entspricht. So bestätigte das BVerwG lediglich und ohne in diesem Punkt zu widersprechen die Vorinstanz des OVG Münsters, welche sogar folgenden Leitsatz aufstellte:

Leitsatz: Ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren nach Art. 44 GG fällt nicht in den Schutzbereich des § 3 Nr. 1 g) IFG.
- OVG Münster 15 A 1578/15

Und weiter stimmt es auch nicht, dass über einen abgeschlossenen U-Ausschuss verhandelt wurde.

Der NSU-Ausschuss begann am 27. Januar 2012 seine Arbeit und legte am 22. August 2013 seinen Abschlussbericht vor. (Wikipedia)

Die Klage, über welche das OVG NRW letztlich das BVerwG entschieden hat, richtete sich gegen einen Ablehnungsbescheid vom 13. November 2012. Der Antrag selbst wurde im September 2012 gestellt. Der NSU-Untersuchungssauschuss war also noch fast ein ganzes Jahr aktiv nachdem der abgelehnte IFG-Antrag eingereicht wurde.

Somit haben alle Instanzen über einen Bescheid geurteilt, der zum Zeitpunkt eines laufenden U-Ausschuss ergangen war.

Fun Fact: Da es bis zur finalen Entscheidung hier auch 8 Jahre dauerte, wäre es laut der Rechtstheorie des BMVI mathematisch unmöglich die Rechtsfrage klären zu lassen, wie das IFG bei laufenden U-Ausschüssen anzuwenden ist. Bis zu einem möglichen Urteil des BVerwG sind 2 weitere Legislaturperioden vollständig vergangen. Jeder U-Ausschuss ist in dieser Zeit bereits lange abgeschlossen worden.

Scheinbar im verzweifelten Versuch eine Beanstandung noch abzuwenden wurde dem BfDI angeboten, dass man mich in den “vorherigen Stand” versetzt (§ 32 VwVfG). Mir also erlaubt trotz der langen Zeit doch noch einen Widerspruch einzureichen.


- Der juristische Winkelzug des BMVI, um die Beanstandung noch abzuwenden und sich bis weit nach der Wahl zu retten

Das Spiel wurde wohl durchschaut. Denn diesen Widerspruch hätte man dann einfach abgewiesen und es auf eine Klage ankommen lassen. Aber man hätte massiv Zeit gewonnen und die nun erfolgte Beanstandung vor einer Wahl verhindert.

Das zeigt sich nämlich hier: @arne.semsrott hat zu einer ähnlichen Anfrage eine Ablehnung erhalten - auch auf seinen Widerspruch hin. FragDenStaat klagt scheinbar auch in dieser Sache. Möglicherweise ist die förmliche Beanstandung durch den BfDI hier ja hilfreich.

Wie geht es weiter?
Mit der Beanstandung ist der alte Bescheid für mich erledigt. Aber da der U-Ausschuss nun abgeschlossen ist, habe ich die Mails erneut beantragt. Diese Anfrage hat nun - trotz mehrfacher Erinnerung und Beschwerde - die Frist bereits seit Wochen überschritten.

Die Brisanz scheint auch dem BfDI (der Behörde) bewusst zu sein. So wird in einem Entwurf kommentiert:

Vermutlich erhalte ich die Mails dann direkt nach der Bundestagswahl mit 2 Monaten Fristverzug.

Vielleicht lohnt sich hier ja ein Artikel von FdS zur Beanstandung und zur anhängigen FdS-Klage vor der Wahl? :wink:

@arne.semsrott @j.doleschal

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Heutzutage würde ich nach Ablauf der drei Monate umgehend Untätigkeitsklage erheben. Dann ist die Kostenfrage gleich geklärt und das Verfahren zieht sich nicht unnötig weiter in die Länge.

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Et voilà: https://netzpolitik.org/2021/berichterstattung-torpediert-dicke-ruege-fuer-minister-scheuer-wegen-intransparenz/

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